Lazarus 02: Der Treck der Verlierer
Demokratisch gewählte Regierungen, eine halbwegs ordentliche Justiz, Menschen- und Bürgerrechte, … — das alles sucht man in Greg Ruckas Dystopie Lazarus vergebens. Stattdessen teilen sich ein paar superreiche Familien die Herrschaft über zig Millionen von Menschen. Wirklich von Wert und Bedeutung ist nur, wer zur Familie gehört. Der Rest steht entweder als “Knecht” im oft militärischen Sicherheitsdienst eines der Clans oder — wesentlich wahrscheinlicher — gehört gar der niedersten Kaste, dem “Abfall”, an.
Während die Familienmitglieder — teils alleine, zum Teil zu zweit — in riesigen, mit allerlei High-Tech vollgestopften Luxustempeln wohnen, lebt der “Abfall” in ärmlichen Verhältnissen auf dem Land oder in heruntergekommenen Städten und rackert sich täglich ab, um z.B durch Ernteabgaben an die Oberen ihre Schulden abzubezahlen.
Um Jonah, den im ersten Teil getürmten Störenfried der Familie Carlyle kümmert sich Rucka in diesem zweiten Sammelband (Hefte 6 bis 10 des US-amerikanischen Originals) zunächst nicht weiter. Stattdessen wird in einigen, über das gesamte Buch hinweg verstreuten Einwürfen Stück für Stück mehr aus der Vergangenheit des Clan-Lazarus Forever gezeigt.
Die herzlose Art des “Vaters” gegenüber dem Mädchen während seiner Kampfausbildung verstärkt natürlich zum einen die emotionale Verbundenheit des Lesers mit der Protagonistin. Darüber hinaus zeigt Forever so aber wieder ein bisschen mehr von ihrer menschlichen Seite, und man wird das Gefühl nicht los, dass Rucka damit auf eine zukünftige Wendung bezüglich der Loyalität der One-Woman-Army hinarbeitet.
Hauptsächlich geht es aber in “Der Treck der Verlierer” diesmal, wie es der Titel schon andeutet, weniger um die Clans, sondern um die in deren gewaltigen Schatten lebende Bevölkerung.
Es wird das Schicksal von Joe, Bobbie und deren Kinder erzählt. Gerade ist ihr Farm-Haus einer Flut zum Opfer gefallen, so dass sie schließlich ohne Mittel und Perspektive vor den Trümmern ihrer ohnehin bescheidenen Existenz stehen. Alles wieder aufzubauen wäre zwar möglich, und die Herrscher-Familie würde dabei “gnädigerweise” auch finanziell unterstützen, allerdings würde man sich durch die Inanspruchnahme der Hilfe noch tiefer in die Abgabe-Schuld gegenüber den Carlyles begeben.
Als sie dann die Nachricht über ein anstehendes Aufstiegs-Casting im hunderte von Meilen entfernten Denver erreicht, machen sie sich schließlich mit ein paar Pferden und einem kleinen Keim der Hoffnung auf die Aufnahme in den Kreis der Knechte auf den gefährlichen Weg. Lange dauert es nicht, bis sie bemerken, dass sich ganze Menschenmassen in Richtung Denver bewegen.
Und auch Forever ist auf dem Weg dorthin, um ihren für den dortigen Sektor zuständigen Bruder zu beschützen. Denn offenbar ist er und die Auswahl-Veranstaltung Ziel eines geplanten Bombenanschlags einiger Aufmüpfiger…
Sicher hat bei Band 1 besonders die hinter der Serie steckende Idee begeistert und beeindruckt. Nun schafft es dieser zweite Band aber mühelos, das noch zu toppen. Positiv ist, dass die im Vorgänger begonnene Storyline um Jonah zunächst nicht weiterverfolgt wird. Nicht, dass diese uninteressant gewesen wäre. Es sorgt aber für Abwechslung von der “Clan-Soap”, zeigt außerdem, dass hier noch einiges mehr drinsteckt und — vor allem — lässt es den Leser auch eine andere Perspektive, nämlich die der Verlierer, einnehmen. Und die ist, gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsströme auf das reiche Europa, umso schockierender.
Die Vorfreude auf den dritten Teil (erscheint im Juli 2016) ist gewaltig. Man darf gespannt sein, ob die begonnenen Stränge dann weitergesponnen oder wieder neue begonnen werden — und in welche Wunde dann die Finger gelegt werden.
Eine Vorschau der ersten Seiten des Buches findet ihr wie immer auf der Seite zum Buch bei Splitter.Viele weitere Comic-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index…