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Tomboy

Sein Name mag komisch klingen, Spaß versteht Frank Kitchen aber nicht. Vor allem nicht bei seiner Arbeit als Auftragskiller. Wen er warum töten soll? Solange die Bezahlung stimmt, stellt er keine Fragen und führt den Auftrag schnell und zuverlässig aus. So lief das auch bei der New Yorker Fashion Week: rein in die Garderobe des schrägen Mode-Vogels, kein Ohr für dessen verzweifelten Ausreden, gezielter Schuss ins Herz, unbemerkt wieder raus. Präzise abgeliefert — und doch wird Frank dieser Auftrag zum Verhängnis.
Er tappt an einem anderen Ort zu einer anderen Zeit in eine Falle, wird überwältigt und wacht einige Zeit später verkatert in irgendeiner kleinen Absteige auf, den Kopf komplett in einen Verband gehüllt. Als er die Bandage dann abnimmt, sieht er im Spiegel das Gesicht einer Frau. Und nicht nur das. An keiner Stelle erinnert sein Körper mehr an den eines Mannes.
Frank stürzt erst einmal ab, greift zum Alkohol und landet auf der Straße, wo er es als Frau nun natürlich besonders schwer hat. Da er aber ahnt, wer ihn, im wahrsten Sinne des Wortes, ans Messer geliefert hat, macht sich schon bald auf die Suche nach dem Schuldigen.

© für die deutsche Ausgabe: Splitter Verlag

Es geht also um Rache, und das gleich doppelt. Das Rache-Opfer rächt sich schließlich wiederum selbst. Als Besonderheit kommt bei diesem Crime-Noir-Comic eben der Geschlechter-Tausch hinzu. Einige Schwächen sind aber leider zu erkennen: Zunächst ist das Operations-Ergebnis, also Franks neuer Körper und das Gesicht, einfach zu gut gelungen. Er hatte zwar schon als Mann teils weiche Gesichtszüge (zumindest wirkt das in einigen Bildern so) und seine Haare zum Pferdeschwanz gebunden. Dass er nach der Operation aber so ganz und gar wie eine hübsche Frau aussieht und nicht einmal Narben an die umfangreichen Veränderungen erinnern, will einem nicht einfach so einleuchten. Wie viele Wochen oder Monate war Frank denn bewusstlos?!
Vor allem ist der Plot aber voller Klischees über das Milieu und den “Körpertausch” und auch ziemlich vorhersehbar — zum Beispiel, was die parallele Handlung mit der Vernehmung einer Gefängnisinsassin oder die Bedeutung von Franks weiblicher Kneipen-Bekanntschaft Johnnie angeht. Auch die Erklärung, dass Frank zum Opfer der Rache-Operation geworden ist, weil man an seinen Auftraggeber nur schwer oder kaum herankommen könnte, wirkt auf mich etwas absurd.
Und schließlich ist das Körper-Switch-Ding dann auch ziemlich schnell abgehakt. Zwar muss Frank natürlich lernen, dass es nicht leicht ist, in High-Heels zu laufen, und dass Männer ihm unangenehm gerne auf die Pelle rücken. So wirklich an die Nieren scheint ihm das Ganze aber nicht zu gehen. Zumindest nicht sehr lange. Vielleicht kann es der (innerlich immer noch) harte Kerl auch einfach gut verbergen. Jedenfalls richtet sich sein Blick schnell wieder nach vorne, und er plant seine Revanche.

© für die deutsche Ausgabe: Splitter Verlag

Positiv ist dagegen die cinematische Aufbereitung der Story, die einige starke Action-Szenen bietet, aber übrigens auch die eine oder andere sehr explizite Zeichnung (nackte Körper, Sex) umfasst. Die Adaption stammt von Alexis Nolent alias Matz, die gelungenen Farben und Zeichnungen von Jean-François Martinez alias Jef.
Angesichts der Tatsache, dass Hollywood-Regisseur Walter Hill (“Nur 48 Stunden” und dessen Fortsetzung u.v.m.; oder z.B. “Johnny Handsome”, der ja im übrigen auch plastische Chirurgie zum Thema hatte) das Szenario lieferte, ist es nicht weiter verwunderlich, dass das Buch wie eine Film-Vorlage wirkt. Und tatsächlich: Auch von “Tomboy” wird schon in Kürze ein Film von Hill ins Kino kommen — u.a. mit Michelle Rodriguez (Ana Lucia aus “Lost”) als der weibliche Frank und Sigourney Weaver in einer weitere Rolle.

Das Fazit: Die o.g. Kritik liest sich möglicherweise allein aufgrund des Umfangs härter als sie sein sollte. Ich habe “Tomboy” (im französischen Original “Corps et âme” — “Körper und Seele”) durchaus gerne gelesen und habe mich dabei nicht schlecht unterhalten gefühlt. Es sollte einem nur klar sein, dass einen weder ein großartiger Twist noch eine bahnbrechende Idee vom Sockel hauen wird. Tiefgründig ist der Comic nicht. Wen das Killer-Rache-Thema reizt und wer bei stimmungsvoller Optik über die etwas unrunde Story hinwegsehen kann, sollte ruhig mal einen näheren Blick auf das Buch legen.

Eine Leseprobe mit ein paar Seiten findet ihr auf der Seite zum Buch bei Splitter.Viele weitere Comic-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index

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Über den Autor des Beitrags

Gerald

Hört so ziemlich alle Genres querbeet, von Heavy bis Electro, von Folk-Pop über World und Rock bis Hip-Hop. Ehrliche, handgemachte Musik ist aber noch die beste und Radio-Rotation ist evil. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ist zudem hauptsächlich für unsere Comic-Abteilung verantwortlich und spielt hin und wieder auch gerne mal an der (Nintendo-)Konsole.

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