Bataclan: Wie ich überlebte
Selbst wer das Testspiel der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft am 13. November 2015 im Stade de France in Saint-Denis gegen ihre französischen Kollegen nur am Fernseher mitverfolgt hat, kann sich sicher an die seltsame Szene erinnern, als ein Knall durch das Stadion ging und sowohl auf dem Platz als auch auf den Rängen für verunsicherte Mienen sorgte. Ein Selbstmordattentäter hatte sich am Eingang in die Luft gesprengt, wie man später erfuhr. Und zur selben Zeit sorgten andere Islamisten für zahlreiche Tote in verschiedenen Pariser Cafés und Bars.
Der Ort, der aber wie kein anderer mit den schrecklichen Ereignissen in Verbindung gebracht wird, ist die Konzerthalle Bataclan im elften Arrondissement der französischen Hauptstadt. An diesem Freitag den 13. trat dort die Rockband Eagles of Death Metal auf. Das österreichische Duo White Miles hatte ihr Vorprogramm bereits beendet, und die EoDM spielten gerade das Stück “Kiss The Devil”, als vier mit Kalaschnikows und Handgranaten bewaffnete Extremisten hereinstürmten und auf alles schossen was sich bewegte — weil sich dort „hunderte Götzendiener in einer perversen Feier versammelt“ hätten. Traurige Bilanz: 90 Tote und etliche Verletzte alleine im Bataclan.
All das ist gemeinhin bekannt. Wir alle haben die Nachrichten gesehen und versucht, zu verstehen, was da passiert war — und womöglich mit Schrecken überlegt, was die Opfer in den rund zwei Stunden, die der Anschlag an diesem Ort gedauert hatte, wohl durchgemacht haben müssen. Todesangst, Blut, ohrenbetäubender Lärm, herumfliegende Körperfetzen… Es versteht sich von selbst, dass es bei dem Versuch bleibt.
Mit “Bataclan: Wie ich überlebte” erzählt der französische Zeichner Fred Dewilde, der an jenem Abend mit Freunden im Publikum war, seine eigene Geschichte rund um dieses einschneidende Ereignis in seinem Leben. Daher auch der Originaltitel “Mon Bataclan” — “Mein Bataclan”.
Auf den ersten 15 Seiten tut er das zunächst in der Art einer düsteren Graphic Novel nur in Schwarz und Weiß und vielen Schraffuren. Vom feucht fröhlichen Beginn des Konzertabends über das mehr als zweistündige Massaker im Konzertsaal, bei dem sich Dewilde, in der Blutlache eines Toten liegend, tot stellte, bis hin zur Rettung durch die Polizeikräfte. Die Angreifer stellt er in diesen Bildern als Apokalyptische Reiter mit Totenköpfen dar.
Den größeren Anteil des Buches übernimmt anschließend dann aber ein in mehrere kleine Abschnitte unterteilter Text, der nur noch vereinzelt mit Zeichnungen am Rand versehen ist. Darin erzählt Dewilde noch einmal eindrücklich von seinen Erlebnissen an jenem Abend, erklärt worin der Horror, den er erlebt hat, tatsächlich bestanden hat, beschreibt das Unbeschreibliche. Auch er kann das vermutlich nur versuchen, erreicht aber auf jeden Fall, dass die Vorstellungen eines Unbeteiligten wesentlich konkreter und erschreckender werden. Vor allem schildert er auch, wie ihn der Vorfall aus der Bahn und aus dem bisherigen Leben geworfen hat und welche Schwierigkeiten er in den Monaten danach auf dem Weg zurück in die Normalität hatte.
Dabei wird es auch hier und da etwas politisch: Dewilde nimmt Stellung zur fragwürdigen Aussage von Jesse Hughes, dem Frontmann von EoDM, die der Band ein Auftrittsverbot im Bataclan einbrachte. Auch kritisiert er die misslungene Integrationspolitik in Frankreich, verteidigt den Islam und erwähnt auch die Anschläge in Brüssel, in Nizza und auf Charlie Hebdo. Zumindest zum Teil wirkt das dann etwas viel und am Ziel vorbei, gehörte aber offenbar in den für ihn therapeutisch wirkenden Entstehungsprozess des Buches hinein.
Den ausgewiesenen Graphic Novel-Freund mag den geringen Anteil an illustrierten Seiten und der lange Text womöglich zunächst stören — zumal die Zeichnungen nun auch nicht unbedingt sehr ausgefeilt wirken (wobei das bei Graphic Novels ja auch nicht unbedingt ungewöhnlich ist). Aber ob man es nun Graphic Novel nennen mag oder nicht, son Bataclan — sein Batalcan — ist eine Dokumentation, die einen tiefer trifft als erwartet und schlicht sprachlos macht.
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