Der Roman von Boddah: Wie ich Kurt Cobain getötet habe
Auch über zwanzig Jahre nachdem Kurt Cobain sozusagen die Eintrittskarte zum “Klub 27” gelöst hat — nachdem er seine halbautomatische Schrotflinte genommen und sein Leben beendet hat — hallt der Schuss immer noch nach. Dann und wann hört man wieder mal eine Band mit Grunge-Elementen spielen. Teenies tragen Nirvana-Shirts — wenn auch wohl eher aus modischen Gründen. Und auch die Medien entdecken Cobain immer mal wieder für sich.
Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich hier die sehr persönliche Doku “Montage of Heck” besprochen. Und schon 2013 erschien in Frankreich ein Buch namens “Le roman de Boddah”, das sich um Cobains Leben drehte. Und auf eben diesem Buch von Héloïse Guay de Bellissen basiert wiederum die Graphic Novel, um die es hier geht: “Der Roman von Boddah: Wie ich Kurt Cobain getötet habe” von Nikolas Otero.
Aber wozu überhaupt noch eine “Doku” über die Grunge-Ikone? Gibt es etwas Neues zu berichten? Frisch entdecktes Material, etwa?
Um das gleich vorweg zu beantworten: nein, (wirklich) neue Informationen für Fans von Nirvana und Cobain selbst gibt es nicht zu entdecken — höchstens natürlich das eine oder andere einem persönlich bislang unbekannte Detail. Und um quasi eine weitere Doku handelt es sich auch nicht.
Vielmehr erzählt der “Roman von Boddah” Cobains Geschichte aus einer anderen Perspektive. Nämlich aus der von Boddah, Cobains imaginärem Kindheits-Freund, dem tatsächlich auch sein Abschiedsbrief gewidmet war.
Allein daran wird schon klar, dass das Buch Tatsachen mit ein bisschen Fiktion vermischt. Es hangelt sich praktisch durch die bekannten Ereignisse in Cobains Leben und füllt die Zwischenräume mit jeder Menge erfundener (und teils auch realer) Dialoge — natürlich auch zwischen Cobain und seinem Alter Ego Boddah.
In 34 zum Teil sehr kurzen Kapiteln geht es hauptsächlich um die innere Zerissenheit des Musikers, um seine innige Beziehung zur Hole-Frontfrau Courtney Love, um deren gemeinsame Heroin-Trips, dem vorläufigen Tod in Rom, mäßig erfolgreiche Drogen-Entzüge und dem beängstigenden Welt-Erfolg mit Nirvana. Aber auch Details wie das eigen designte Fender-Model “Jag-Stang”, die Plagiats-Vorwürfe seitens Killing Joke um “Come As You Are” und Fernsehauftritte wie der für MTV Unplugged oder einen französischen Kanal gehören zu den zusammengetragenen Themen.
Grafisch bleibt das Buch, im Gegensatz zum kolorierten Cover, komplett in Schwarz/Weiß bzw. in Tusche und einigen Grautönen als “Färbung”. Nur ganz (wirklich ganz, ganz) vereinzelt kommt mal Farbe als besonderes Stilmittel ins Spiel.
Viel Wert auf Details wird in den Zeichnungen nicht unbedingt gelegt, und die manchmal über eine ganze Seite hinweg wuchernden Zeichnungen machen zum Teil selbst den Eindruck eines dröhnenden Trips. Ab und zu wird einer der bekannten Köpfe dann aber auch wiederum verblüffend real und gut erkennbar dargestellt.
Insgesamt sehr stimmig, wenngleich möglicherweise auch etwas polarisierend.
Zugegebenermaßen musste mich “Der Roman von Boddah: Wie ich Kurt Cobain getötet habe” erst überzeugen. Die ersten Seiten wirkten auf mich noch etwas sehr wirr und abgehackt. Nach ein paar Kapiteln war ich aber drin in der verstörenden Welt des schüchternen Stars einer ganzen Rock-Generation, der am Ende das Ausbrennen dem Verblassen vorgezogen hat. Eingerahmt in die tragische Szene am 5. April 1994 schildert das Buch die scheinbar unvermeidbare Entwicklung dorthin. Spätestens beim originalen Abschiedsbrief (inklusive übersetzter Transkription) ist der Kloß im Hals derart angewachsen, dass nur eine sofortige Therapie mit lauter “Nevermind”-Beschallung noch helfen kann. Für Fans auf jeden Fall lesenswert!
Eine Leseprobe mit ein paar Seiten findet ihr auf der Seite zum Buch beim Splitter Verlag.Viele weitere Comic-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index…