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Alexander Nikopol – Die Nikopol-Trilogie

Dystopien haben irgendwie immer Konjunktur — und das ist auch in der Vorweihnachtszeit nicht anders. Ein besonderer und prominenter Vertreter des Genres wurde nun bei Carlsen als überformatige Gesamtausgabe wiederveröffentlicht: Die nach der Hauptfigur benannte “Alexander Nikopol”-Trilogie, die 2008 auch als Computerspiel (“Nikopol: Secrets of the Immortals”) und 2004, vom Autor und Zeichner Enki Bilal selbst in Szene gesetzt, als Kinofilm (“Immortal – New York 2095: Die Rückkehr der Götter”) adaptiert wurde.

Die Geschichte beginnt anno 2023 in Paris. Nach zwei Atomkriegen gleicht die französische Hauptstadt eher einer Art Stadtstaat, in der der Diktator Hans-Ferdinand Weißkohl herrscht. Die gehobene Mittelschicht wohnt im abgeriegelten Zentrum, während die dreckigen, stinkenden Randgebiete von Mutanten bevölkert und von Gesetzlosigkeit und Elend beherrscht werden. Staatsmedien bringen das Volk auf Linie, Frauen werden nur zur Fortpflanzung in Gebärfabriken “gehalten” und Wahlen gibt es sowieso nur, um offiziell den Schein zu wahren.
Gerade als wieder eine Wahl bevorsteht, geht über der Stadt einem pyramidenförmigen Raumschiff der Sprit aus. Deren Besatzung, tatsächlich die gesamte ägyptische Götterwelt, verlangt eine riesige Menge Treibstoff von Weißkohl, um baldmöglichst weiterfliegen zu können. Weißkohl wiederum erhofft sich durch den Handel Unsterblichkeit zu erlangen. Allerdings verfolgt einer der Götter, Horus, auch seine ganz eigenen Ziele, für deren Erreichen ihm schließlich der geeignete menschliche Gehilfe sozusagen direkt vor die Füße fällt.
Zu dieser Zeit stürzt nämlich auch eine Raumkapsel ab, in der ein gewisser Alexander Nikopol 30 Jahre lang durchs All trieb. Nikopol war wegen Desertierens zu 20 Jahren Kälteschlaf-Verbannung verurteilt worden. Allerdings hatte man ihn dann der Kriege wegen weitere zehn Jahre lang in seiner Raumkapsel vergessen. Ein gefrorenes Bein geht bei der Bruchlandung zwar verloren, ansonsten ist Nikopols Körper ohne seine Mutationen aber der optimale Wirt für Horus’ Geist.

Der Beginn in Form des ersten Kapitels (bzw. Bandes) “Die Geschäfte der Unsterblichen” ist also recht politisch und gesellschaftskritisch und beschreibt die Szenerie der düsteren Zukunft. In den beiden anderen Teilen, “Die Frau der Zukunft” und “Äquatorkälte” rücken weitere Figuren ins Zentrum der Geschichte, allen voran die Reporterin Jill Bioskop, aber zum Beispiel auch Nikopols Sohn, der der Umstände halber verblüffenderweise nicht nur genauso aussieht wie sein Vater, sondern auch noch im selben Alter ist. Das Gesellschaftskritische und die bis dahin klare Erzählweise machen in diesen zwei Dritteln dann immer wieder persönlichen Beziehungen und surrealen Szenen Platz.

Ursprünglich erschienen die drei Einzelbände der Reihe (die übrigens als Ursprung der Sportart Schachboxen gilt) in dem langen Zeitraum zwischen 1980 und 1992. Außerdem kamen die Alben der deutschen Übersetzung damals bei verschiedenen Verlagen heraus: Während Carlsen die ersten beiden Bände veröffentlichte, gab es Band 3 dann bei Ehapa. Insofern ist eine Gesamtausgabe natürlich in jedem Fall eine lohnenswerte Sache — allerdings muss man der Vollständigkeit halber auch erwähnen, dass es Anfang der Neunziger schon einmal eine gab.
Mit allen Hauptfiguren der Story auf dem Cover, allen voran Jill Bioskop, kommt diese schicke neue Hardcover-Ausgabe im großen 24x32cm-Format. Natürlich ist auch hier das Faltblatt beigelegt, das eine Sonderausgabe der Tageszeitung “Libération” darstellen soll. Das ist zwar ganz vorne im Buch zu finden, ist aber als Add-On zum zweiten Kapitel zu verstehen und soll dessen Story auf einer weiteren Ebene noch etwas vertiefen — kleine Maßnahme, tolle Wirkung.

Stellt sich zum Schluss die Frage, ob sich der Kauf der Gesamtausgabe lohnt. Wer die Reihe kennt, aber bislang nur die Einzelbände besitzt, womöglich unvollständig, macht damit natürlich sowieso keinen Fehler. Wer von “Nikopol” bislang nichts gehört hat, sollte sich mit der rätselhaften und schrägen Eigenartigkeit des Comics anfreunden können — ein Blick vorab ins Buch ist sicher zu empfehlen. Mit ihrer Vielseitigkeit kann die Story jedenfalls Fans von Dystopien, SciFi, Gesellschaftskritik, Fantasy und persönlichen Dramen ansprechen.
Besitzern der alten Gesamtausgabe (die ich zugegebenermaßen noch nicht in den Händen hatte) bietet diese neue Ausgabe allerdings wohl keinen neuen Mehrwert. Zumal auf Bonusmaterial wie Skizzen, Charakterstudien, Hintergrundinformationen usw. auch hier verzichtet wurde.Viele weitere Comic-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index

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Über den Autor des Beitrags

Gerald

Hört so ziemlich alle Genres querbeet, von Heavy bis Electro, von Folk-Pop über World und Rock bis Hip-Hop. Ehrliche, handgemachte Musik ist aber noch die beste und Radio-Rotation ist evil. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ist zudem hauptsächlich für unsere Comic-Abteilung verantwortlich und spielt hin und wieder auch gerne mal an der (Nintendo-)Konsole.

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