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Die schwarzen Moore

Bereits seit seiner Kindheit ist Christophe Bec (“Prometheus”, “Deepwater Prison” oder auch “Vergessene Welt”) vom Aubrac, einem Gebirgsplateau mit Wiesen- und Moor-Landschaft in Frankreich, und seinen Geschichten fasziniert. Die “Bestie von Gévaudan”, ein Raubtier in wolfsähnlicher Gestalt, soll dort Mitte des 18. Jahrhunderts ihr Unwesen getrieben und bis zu 100 Frauen und Kinder verschleppt und getötet haben. Sicher, eine Mischung aus Angst und Phantasie dürfte das Erscheinungsbild und die Statur des Monsters in den Erzählungen maßgeblich beeinflusst haben — die Opfer waren aber keine Hirngespinste sondern real, und die Vorfälle sind noch heute ein ungelöstes Rätsel! Zudem wurde Anfang des 20. Jahrhunderts in der Nähe des Dorfes Aubrac ein Sanatorium für Tuberkulose-Patienten gegründet, das später zu einem Hotel umfunktioniert wurde und Bec irgendwie an das Overlook-Hotel aus Kubricks “Shining” erinnerte (weshalb er dieser Einrichtung wohl auch schon seinen Comic “Royal Aubrac” gewidmet hat).

In seinem One Shot “Die schwarzen Moore” (im Original: “Les Tourbières Noires”) verbindet Bec nun die geheimnisvolle Schönheit der kargen Hochebene mit der Kurzgeschichte “La Peur” – “Die Furcht” oder “Die Angst” aus dem 19. Jahrhundert, die ebenfalls seine Kindheit prägte. Der französische Schriftsteller Guy de Maupassant ließ darin einen Weitgereisten mit einiger Lebenserfahrung eindrücklich schildern, was Angst im Vergleich zu dem, was wir für gewöhnlich darunter verstehen, wirklich sei.

© für die deutsche Ausgabe: Splitter Verlag

In Becs frei an de Maupassants Original angelehnter Version durchstreift der Fotograf Antoine für den Auftrag eines Verlegers das Aubrac, um dort einige Aufnahmen zu machen. Zunächst stapft er wenig begeistert durchs Gelände, erkennt im Verlauf des einsam verbrachten Tages dann aber doch immer mehr die Besonderheit der Gegend. Er vergisst die Zeit und wird schließlich durch den aufziehenden Nebel und die schnell hereinbrechende Dunkelheit überrascht.
Zunächst droht ein kilometerweiter Rückweg durch Dunkelheit, sumpfigen Untergrund und Stacheldrahtzäune. Nur kurz später entdeckt Antoine in der Dämmerung allerdings einen alten Wehrhof und beschließt, dort um ein Zimmer für die Nacht zu bitten. An der Tür wird er von Baptiste, einem mürrischen alten Mann “begrüßt”, der aufgeregt sein Gewehr auf ihn richtet. Antoine kann schließlich tatsächlich in dem Haus übernachten, muss aber auch schon bald feststellen, dass Baptiste einem Wahn verfallen zu sein scheint und so ängstlich wie entschlossen seine Haustür bewacht, weil diese Nacht ein Monster aus dem Moor unterwegs sein soll.

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Christophe Bec beim Tuschen

Im Kern ist die Geschichte ein Kammerspiel mit Antoine, Baptiste und dessen Tochter Melody, die ebenfalls auf dem Hof wohnt. Alles konzentriert sich auf die eine Nacht, die aus Baptistes Sicht es in dem Haus zu überstehen gilt. Die wilde Landschaft des Aubrac dient dabei als Rahmen und Legenden-Quelle.
Für seine Bücher wählt Christophe Bec jeweils den zu der Story passenden Zeichner. Hier hat er wieder selbst zur Feder gegriffen — koloriert wurde von Bertrand Denoulet. Der Bonus-Teil zeigt erste Entwürfe, die wenig skizzenhaft, sondern eher wie realistische Filmszenen aussehen. Außerdem gibt er Einblick in Charakter-Entwürfe und in die Studio-Arbeit. Interessierte können ihm auch im oben eingebundenen Video bei der Tusche-Arbeit zum Buch über die Schulter blicken.

© für die deutsche Ausgabe: Splitter Verlag

Apropos Video: Ursprünglich wollte Bec aus dem Material einen Kurzfilm drehen und ihn auf verschiedenen Festivals aufführen lassen. Da allerdings nicht die nötigen Mittel zusammengebracht werden konnten, musste das Vorhaben (wohl auf unbestimmte Zeit) verschoben werden.

Die Geschichte wirkt etwas kurz. De Maupassants Vorlage ist schließlich selbst nur eine Kurzgeschichte und die Version von Bec ist eben auch in einem einzelnen Band (64 Seiten) abgeschlossen. Außerdem ist die Handlung zum Teil ziemlich vorhersehbar, und das Buch enthält auch einige Seiten, die sich überhaupt weniger um eine Handlung kümmern als um das Erzeugen von Atmosphäre.
Letzteres gelingt allerdings extrem gut. Mit idyllischen Landschaften mit leuchtend gelben Gräsern und dazu kontrastierenden düster-schauerlichen Nachtszenen mit viel Tusche erschafft Bec eine absolut überzeugende wie packende Szenerie.
Von der Handlung her ist “Die schwarzen Moore” also nur wenig nahrhaft. Fans von Becs Zeichenkünsten oder allgemein realistisch gezeichneten Comics mit Mystery-Touch sollten aber trotzdem auf ihre Kosten kommen.

Eine Leseprobe mit ein paar Seiten findet ihr wie immer auf der Seite zum Buch bei Splitter.Viele weitere Comic-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index

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Über den Autor des Beitrags

Gerald

Hört so ziemlich alle Genres querbeet, von Heavy bis Electro, von Folk-Pop über World und Rock bis Hip-Hop. Ehrliche, handgemachte Musik ist aber noch die beste und Radio-Rotation ist evil. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ist zudem hauptsächlich für unsere Comic-Abteilung verantwortlich und spielt hin und wieder auch gerne mal an der (Nintendo-)Konsole.

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