Fraternity 01
Der erste Band des Zweiteilers “Fraternity” von Autor Juan Díaz Canales ist verwirrend und wirft weit mehr Fragen als man verkraftet, ist aber trotzdem – oder vielleicht auch gerade deshalb – interessant. Selbst die Frage, worum sich die Geschichte eigentlich dreht, ist gar nicht so leicht zu beantworten…
Mittelpunkt des Geschehens ist die kleine Gemeinde New Fraternity, Indiana im Jahr 1863. Also zur Zeit des amerikanischen Sezessionskrieg, in dem die Nord- gegen die Südstaaten kämpfen – und andersrum. New Fraternity möchte allerdings mit dem Krieg nichts zu tun haben und sieht sich stattdessen lieber abgetrennt vom Rest der Welt als eine Art alternatives Experiment.
Richtig harmonisch lebt es sich aber auch dort nicht, denn die Bürgerschaft ist in zwei Parteien gespalten, die sich nicht gerade grün sind. Die “Parias” um Josiah Walker und Fanny Zoetrope auf der einen Seite, die das Ganze als Projekt und sehr idealistisch sehen. Auf der anderen Seite Bürger wie Whitechapel und Sawyer, die wohl lieber in einem gewöhnlichen Dorf leben würden.
Hinzu kommt die etwas unklare Person des Robert McCorman. Ein alter, wohlhabender Mann, der die Siedlung irgendwann vom mittlerweile nicht mehr dort lebenden Gründer Reverend Benz übernommen hat. Er ist nun quasi Bürgermeister und scheint mit der Verfassung seiner “Geistigen Unabhängigkeitserklärung des Menschen” den Sonderstatus überhaupt erst hergestellt zu haben. Auch wenn dazu nur die Stichpunkte Abschaffung des Privateigentums, Aufgabe der traditionellen Religion und die Auflösung der konventionellen Ehe genannt werden.
Das zum groben Rahmen – so weit ist die Sache auch gut verständlich. Um dieses Gerüst herum erzählt die Story aber viele Details, die größtenteils unklar bleiben.
So wird ein paar Jahre zuvor ein wilder Junge im naheliegenden Wald gefunden und auf den Namen Emilio getauft. Er wird von einem mysteriösen, im Wald lebenden Monster beschützt. Ein Umstand, der den etwas geheimnisvollen McCorman scheinbar nicht gerade irritiert.
Dann die Sache mit den Soldaten, die früher versklavt waren, nun im Dorf Unterschlupf suchen und auch irgend ein Geheimnis haben. Als sie auftauchen spaltet sich die Bevölkerung in der Frage, ob man sie aufnehmen sollte, einmal mehr. Der verschwundene Alexander, die verbuddelte Leiche im Wald und das gefürchtete Labyrinth sind weitere, verwirrende Teile des gesamten Puzzles.
Die Zeichnungen von José Luis Munuera sind mit wenig Farben und genauso wenig Sättigung versehen. Ganz so düster, wie das Cover vermuten lässt, sind die Bilder aber nicht. Die Darstellung der Figuren ist recht karikaturistisch und, was gerade bei einer solch verknoteten Handlung wichtig ist, man kann die Personen größtenteils gut wiedererkennen.
Zwei bis drei Durchgänge habe ich gebraucht, bis ich einigermaßen das Gefühl hatte, den Hintergrund und die Zusammenhänge von “Fraternity 01” verstanden zu haben. Daher ist der Titel sicher nicht jedem zu empfehlen. Auch ich war mir lange nicht klar darüber, ob mir die Story nicht zu unverständlich ist, um mich zu einem positiven Fazit zu bringen.
Letztlich überwog aber das Interesse am Geheimnisvollen. Und gerade auf den letzten Seiten stieg die Spannungskurve noch einmal stark an. So freue ich mich, trotz der vielen Fragezeichen und der schwierigen Kost, schon jetzt auf den zweiten Band – in der Hoffnung, dass sich am Schluss dann auch ein paar Fragen klären.Viele weitere Comic-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index…