Savior
Wie würde die Menschheit im Medienzeitalter des 21. Jahrhunderts wohl reagieren, wenn plötzlich ein Messias auftaucht, der ganz offenbar über die Fähigkeit verfügt, Wunder zu vollbringen?
Mit dem eindrucksvollen Comic “Savior” stellen der Schöpfer des Serienhits “Spawn”, Todd McFarlane, und Autor-Kollege Brian Holguin (mittlerweile Co-Autor bei Spawn) eben diese Frage.
Die Geschichte spielt in der fiktiven Kleinstadt Damascus im US-Bundestaat Kansas. Gerade als die internationale Korrespondentin Cassandra Hale nach einem Vortrag in der örtlichen Highschool mit dem Auto wieder zum Flughafen fährt, versucht ein großer Passagier-Jet auf dem Highway notzulanden — vergeblich. Die Maschine bricht auseinander, und Menschen werden zum Teil hinausgeschleudert. Die Szenerie gleicht einem Inferno.
Zusammen mit ein paar anderen leistet Hale wo es geht erste Hilfe. Und während sie eine Frau versorgt, die aufgelöst nach ihrer Tochter sucht, taucht aus dem nahegelegenen Getreidefeld ein nakter Mann auf, der die achtjährige Maggie in seinen Armen trägt und zur überglücklichen Mutter bringt. Erstaunlich dabei: obwohl Maggie natürlich mit an Bord war, scheint sie keinen einzigen Kratzer abbekommen zu haben. Und der mysteriöse Retter auch nicht.
Um die Unglücksursache zu klären, ermitteln das FBI und die Polizei. Starke Sonneneruptionen sind nicht ausgeschlossen, ein Anschlag aber auch nicht wirklich, und der Nakte aus dem Getreidefeld kann auch nichts Aufschlussreiches beitragen. Bei einer Befragung durch die Polizei stellt sich nämlich heraus, dass er offenbar einen kompletten Gedächtnisverlust erlitten hat. Er weiß nicht wer er ist, und noch nicht einmal, ob er einer der Passagiere des Fluges war oder wo er ansonsten mitten in der Nacht hergekommen sein könnte.
Fortan dreht sich in den TV-Kanälen jedenfalls alles um “Das Wunder von Damasus” — und um den geheimnisvollen “Samariter” aus dem Getreidefeld…
Natürlich ist der “Erlöser” (Savior) die zentrale Figur in dem Ganzen. Im erweiterten Zentrum der Geschichte stehen aber gleich mehrere Charaktere: Cassandra Hale habe ich bereits erwähnt. Die Polizistin Natalie gehört ebenfalls dazu. Allen voran ist da aber der junge Malcolm zu sehen, der sich in seinem Glauben unsicher ist und sich erst kurz vor der Katastrophe ein Zeichen von Gott gewünscht hatte.
Dass der ihm ausgerechnet ein solches Zeichen sendet, bei dem es zahlreiche Tote und Verletzte gibt und auch noch zwei Freunde sterben, bestärkt seinen Glauben allerdings nicht gerade. Stattdessen sorgt es für Enttäuschung und Wut und lässt ihn so zu leichter Beute für die “Kirche der göttlichen Wahrheit” werden. Die Sekte wirbt mit dem Slogan “Gott hasst dich” und wird natürlich durch die Geschehnisse in Damascus angezogen.
McFarlane und Holguin zeigen das Dilemma eines Erlösers mit gottgleichen Fähigkeiten, der sich in unserer Zeit der Massenmedien mit einigen Schwierigkeiten konfrontiert sieht, die es vor gut 2000 Jahren so noch nicht gab — überzogenes Medieninteresse und Polarisierung sei Dank. Für die einen ist der Mann tatsächlich der ersehnte Erlöser, andere haben nicht gerade auf ihn gewartet. Zumal sich der Savior in diesem Fall seiner Rolle selbst gar nicht recht bewusst ist und zusammen mit dem Leser nur Stück für Stück seine Bestimmung versteht.
Einen störenden religiösen Touch hat das Ganze dabei übrigens überhaupt nicht. Vielmehr wirkt die Story wie eine kleine Gesellschafts- und Charakterstudie, die man sich gut auch als TV-Serie vorstellen könnte — nicht zuletzt den großartigen, cineastischen, in rein digitalem Workflow entstandenen Bildern von Clayton Crain sei Dank.
Das Buch umfasst alle acht Ausgaben des amerikanischen Originals. Die Serie gilt damit als abgeschlossen. Da das Ende der Story eine Fortsetzung nicht ausschließt und der Comic bei Panini als “Savior 1” im Programm gelistet ist, darf leise auf eine Fortsetzung gehofft werden. Nicht zu verwechseln ist “Savior” übrigens mit der schon in den Neunzigern erschienenen Serie “Saviour” von Mark Millar, der damals ebenfalls den Erlöser auf die Erde hat kommen lassen.
“Savior” erzählt eine starke Geschichte, die allerdings nur einen gewissen Teil der aufgeworfenen Fragen klärt, zumal hier und da ein Faden auch gar nicht zu Ende gesponnen wird. Der Spannung und dem geheimnisvollen Stimmung des Comics kommt das aber definitiv zugute.Viele weitere Comic-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index…