Sentient – Kinder der K.I.
Kunst und Medien — und natürlich nicht nur die — sind begeistert von der Vorstellung, dass die Künstliche Intelligenz irgendwann einmal an den Punkt gelangen könnte, ab dem man wirklich von Intelligenz sprechen kann und sich das Ganze verselbstständigen kann.
Was aber passiert dann? Müssen wir uns mit so etwas wie einem “Skynet” aus der Terminator-Reihe herumschlagen? Oder wird uns die K.I. zu unserem Schutz nützen, so wie es “SOL” im Comic “Symmetry” tut? Oder wird es aber eine Mischung aus beidem? Indem nämlich, wie der Synthwave-Musiker Perturbator in seinem Konzeptalbum “New Model” überlegt, das Beschützen der Menschheit zum Paradoxon wird, weil die Menschheit selbst ihre größte Bedrohung ist.
Was die neunte Kunst betrifft, hat jüngst der kanadische Comic-Star Jeff Lemire (“Sweet Tooth”, “Descender”, “The Nobody” u.v.m.) mit seinem neuen One-Shot “Sentient – Kinder der K.I.” das Thema aufgegriffen. In Zusammenarbeit mit dem spanischen Zeichner Gabriel Walta erzählt auch er darin eine Science-Fiction-Geschichte, in der eine K.I. eine zentrale Rolle spielt. Wir haben uns die bei Panini erschienene, deutsche Ausgabe angesehen…
Im Jahr 2105 geht das menschliche Leben auf der Erde seinem Ende entgegen. Das, worüber wir schon lange reden, ist hier längst unausweichlich und eine akute Bedrohung: Unser blauer Planet wird in naher Zukunft endgültig unbewohnbar sein.
Nach den ersten Pionieren werden auch einige Raumschiffe mit Siedlern auf den Weg zu einer sehr weit entfernten Kolonie geschickt. Eines davon ist die U.S.S. Montgomery, deren bunt gemischte Besatzung nach gut zwei Jahren Reise, kurz vor dem Eintritt in die sogenannte “Schwarze Zone”, in größte Schwierigkeiten gerät. Ausgerechnet jetzt, als das Schiff in diesen Strahlengürtel gelangt, der Hilferufe zur Erde und zur Kolonie für lange Zeit verhindert, führt ein verheerender Vorfall dazu, dass auf einen Schlag alle Erwachsenen ums Leben kommen.
Die zwölf Kinder an Bord sind mit einem Mal auf sich alleine gestellt und müssen nicht nur mit ihrer Trauer fertig werden, schnellstens die überlebensnotwendigen Aufgaben erlernen und unter sich aufteilen. Sie müssen sich außerdem auch noch einem Gegner stellen. “Auf sich alleine gestellt” ist allerdings nicht ganz korrekt, denn die Bord-K.I. namens “Valarie”, deren Stimme und Einfluss auf dem Raumschiff irgendwie allgegenwärtig ist, übernimmt sofort die Mutter-Rolle…
Größtenteils ergibt sich die Geschichte aus den Dialogen, was ich grundsätzlich sehr angenehm empfinde. Manchmal kommt aber auch ein Erzähler aus dem Off zum Einsatz. Diese Rolle lässt Lemire den Jungen Isaac Kruger übernehmen. Zusammen mit der gerade zehn gewordenen Lilian Wu, einem mutigen, toughen, aber auch dickköpfigen Mädchen, gehört der schlaue Tüftler zu den älteren Kindern und den Hauptfiguren der Story, deren unterschiedliche Wesen für einiges Drama sorgen.
Das Ganze funktioniert sehr gut und die Figuren sind interessant. Es fällt einem außerdem leicht, sich in sie hinein zu denken. Allerdings muss ich gestehen, dass sich die Story doch einiges anders entwickelt hat, als zumindest ich das vermutet hatte. Dabei war es aber nicht so, dass unerwartete Twists überrascht haben, sondern, im Gegenteil, dass die erwarteten Twists ausgeblieben sind.
Waltas Zeichnungen machen, so mein erster Eindruck, nicht den ausgefeiltesten Eindruck und sind sicher auch etwas gewöhnungsbedürftig. Sie verbreiten allerdings einen leichten Retro-Charme, wodurch der Comic nicht zu einem high-tech Hochglanz-SciFi-Buch wird, und irgendwie menschlich greifbarer wirkt. Nach etwas Eingewöhnung schien mir das also sehr passend.
Alles in allem eine faszinierende, gekonnt erzählte und schön gestaltete SciFi-Geschichte, keine Frage. In Bezug auf “Valarie” hätte mir aber auch noch eine erschütternde Wendung gefallen können.Viele weitere Comic-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index…