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Wizzywig: Das Porträt eines notorischen Hackers

Wizzywig - Tribe Online Magazinx
Vom gehänselten, kleinen Schüler-Nerd zum dämonisierten und gleichermaßen gefürchteten und verehrten Hacker, dem das FBI auf den Fersen ist. “Wizzywig” ist die Biographie des Hackers Kevin “Boingthump” Phenicle, in der Ed Piskor die Lebensläufe einiger realer Ex-Hacker zu einem semi-fiktiven Ganzen verstrickt.

Die Siebziger Jahre. In einer Zeit, in der an Smartphone-Apps, Breitband-Ausbau, Online-Banking oder E-Government noch lange nicht zu denken ist, entdeckt der kleine Kevin das Hacken für sich. Nein, nicht das, was die meisten darunter verstehen! Ohne Computer! Er übt sich im Social Engineering, dem gezielten Beeinflussen seiner Umgebung, um gewissen Profit daraus zu schlagen. Er hackt den öffentlichen Nahverkehr und fährt umsonst Bus, er überlistet den Spielautomaten und besorgt sich anschließend eine Gratis-Pizza. Was braucht ein Schüler mehr?!
Kaum später entdeckt er, dass er mit bestimmten Tönen, die er in den Telefonhörer pfeift, umsonst Gespräche führen kann, so aber auch an verborgene Administrations-Steuerungen der Telefongesellschaft (“Ma Bell”, die ja auch schon die Beastie Boys besangen) gelangt. Der Grundstein für das Phreaken und für Blue und Red Boxes ist somit gelegt.

Neugierig und klug, wie Kevin ist, bleibt es nicht dabei. Er beherrscht das Knacken von Schlössern (Lock-Picking), schreckt auch nicht davor zurück, im Müll nach verwertbaren Informationen zu fischen (Dumpster Diving) und schleicht sich schon auch mal physisch bei der Telefonfirma ein. Ihm scheinen alle Türen offen zu stehen.
Und mit seinem neuen Computer steigt er dann auch in die Online-Welt ein, die damals vor allem in Form des Bulletin Board System (BBS) existiert hat. Spätestens hier ist der Startschuss zu seiner einmaligen “Karriere” gefallen.

Wizzywig - Vorschau Seite 86 - Tribe Online Magazin

© Ed Piskor, Published under license from Top Shelf Productions, USA

Ed Piskor beschreibt Kevin als (den ersten und) den einen, größten Hacker aller Zeiten. Tatsächlich bekommt Phenicle dabei einen großen Teil von Kevin (!) Mitnick ab, von dem er sicher vor allem die manipulativen Social Engineering Fähigkeiten “geerbt” haben dürfte. Vom Phreaking-Begründer Joe “Joybubbles” Engressia bekam Boingthump die Pfeif-Qualitäten. Und die Idee, diese gewinnbringend einzusetzen, kam von Kevin Poulsen. Aber z.B. auch am ersten Computer-Wurm (Morris-Wurm) ließ er Kevin seinen Anteil haben.
Letztendlich vereint Piskor hier so ziemlich alle Hacker-Qualitäten in einer erfundenen Person und erzählt dessen Geschichte in unzähligen, kurzen Abschnitten, die größtenteils nicht mehr als zwei Seiten umfassen. Zeitlich wird immer wieder hin- und hergesprungen. Zudem werden einige Teile rückblickend von Kevins Kumpel Winston Smith (Zufall?!) geschildert, der als Radio-Moderator versucht, der Öffentlichkeit ein Bild von Kevin zu vermitteln, das die reißerischen Meldungen der Medien korrigiert.
Denn während seiner Flucht vor dem FBI wird u.a. durch TV-Sendungen mit “nachgestellten Szenen” die Angst vor Hackern wie Kevin und ihm im Speziellen geschürt. Außerdem versucht er, seinem Freund einen fairen Prozess zu ermöglichen. Denn auf den wartet Kevin seit Jahren in einem Bundesgefängnis.

Wizzywig - Vorschau Seite 158 - Tribe Online Magazin

© Ed Piskor, Published under license from Top Shelf Productions, USA

Interessant wäre zu erfahren, warum Ed Piskor sich dazu entschieden hat, einen Überhacker zu erfinden, anstatt die wichtigsten Hacker-Biographien zu in einer Sammlung vereinen. In dieser Form ist das Ganze aber deshalb nicht minder gelungen. In Kevins Geschichte, die bis in die vergangenen Jahre reicht, werden aber mit Adrian Lamo, Bradley Manning (mittlerweile Chelsey) und Robert T. Morris auch ein paar der realen Personen aus dem Umfeld der Szene erwähnt.
Der eine oder andere, der aus der Hacker-Welt bisher nicht allzu viel mitbekommen hat, wird so bestimmt so dazu animiert werden, verschiedene Hintergründe der angekratzten Themen nachzulesen.

“Wizzywig: Das Porträt eines notorischen Hackers” ist über weite Strecken tragisch, manchmal lustig, vor allem aber interessant. Denn die ganzen Hacker-Dinge sind ja nicht erfunden! Die Bebilderung von Ed Piskor ist sicher Geschmackssache. Die schwarz-weißen Zeichnungen sind oft sehr statisch und alle Panels immer gleich groß.
In jedem Fall funktioniert dieses Porträt aber ganz wunderbar. Nerds und Geeks werden ihre Freude an dem Buch haben. Und alle anderen, die an den Ursprüngen der Hacker-Szene interessiert sind, ebenfalls.

Ein paar Seiten als Leseprobe gibt es auf der Verlagsseite zum Buch.Viele weitere Comic-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index

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Über den Autor des Beitrags

Gerald

Hört so ziemlich alle Genres querbeet, von Heavy bis Electro, von Folk-Pop über World und Rock bis Hip-Hop. Ehrliche, handgemachte Musik ist aber noch die beste und Radio-Rotation ist evil. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ist zudem hauptsächlich für unsere Comic-Abteilung verantwortlich und spielt hin und wieder auch gerne mal an der (Nintendo-)Konsole.

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