Album Review – Sonata Arctica – Acoustic Adventures – Volume Two

In Finnland wird es wieder melodisch. Wenn „Sonata Arctica“ ein neues Album rausbringen, spitzen alle Audiophilen die Ohren, überprüfen den Sitz der goldenen Stecker an der Stereoanlage und entstauben den Plattenspieler. Es geht auch etwas weniger dramatisch und man freut sich einfach so auf ein neues Werk der Nordländer. Wirklich neu ist es allerdings nicht. Die Songs sind grundsätzlich alle bekannt, nur in neuem Gewand verpackt.
„Acoustic Adventures“ ist das Ergebnis aus der bereits 2016 gestarteten kleinen Finnland Tour und der Ausweitung von 2019 auf den Rest von Europa. Während Letzterer kam schnell die Idee auf, die akustischen Umsetzungen der bekannten und auch seltenerer Songs zu verewigen. Dies natürlich in einer deutlich besseren Qualität, als sie die zahlreichen Handyvideos auf Youtube bieten können. Man verzog sich zu Beginn der Pandemie ins Studio. Heraus kamen 24 Neuinterpretationen, welche dann aber für ein Album doch zu viel waren. Einmal die Schere angesetzt ergaben sich zwei Alben. Na also, passt doch. Heute halten wir nun den zweiten Teil in Händen.

Sonata Arctica am 31.03.19 im Z7/Pratteln
Die Platte startet ganz zart, mit der vom Klavier begleiteten Stimme Tonys zu „I have a right“. Der Evergreen ist auf Bühnen immer gut für langanhaltende Chöre des Publikums. Im akustischen Gewand wird er deutlich langsamer, noch zarter und zerbrechlicher. Nur dezente Percussion und eine im Hintergrund agierende Orgel geleiten durch diesen ersten Traum. Ein unaufdringliches Gitarrensolo als Bridge eingebaut umschmeichelt die Hochtöner, nur um wieder in die gefühlvolle Stimme des Frontmanns zu entlassen. Zum Ende nimmt Gitarrist Elias die Führungsrolle ein, mit einem letzten Aufbäumen der Orgel erreichen wir den Höhepunkt des Songs und damit auch das Ende.
Schneller wird es bei „Black Sheep“. Die von Henkka bediente Orgel läuft zur Hochform auf und liefert sich teilweise Wilde Duelle mit der Gitarre von Elias. Vielstimmig gesungene Strophen weben einen Klangteppich, auf dem sich alle Musiker austoben können. Ein Orgelsolo geht nahtlos in ein Gitarrensolo über und wird nur ganz dezent von einer Bassline und etwas Percussion unterstützt. Der Spaß, welchen die Band beim Einspielen hatte, überträgt sich durch die Tonspur auf den Hörer.
Ganz sanft machen mir weiter, mit einem gehauchten „Beautiful“ aus Tonys Kehle. Kenner wissen, dieser Beginn gehört zu „Half a Marathon Man“, welcher hier komplett neu arrangiert erklingt. Schnell nimmt der Song Tempo auf und brilliert durch die unfassbar vielen Textzeilen, welche über die komplette stimmliche Bandbreite des Frontmanns moduliert werden. Elias zupft noch einmal etwas heftiger an den Saiten, um dem Song zum Höhepunkt zu verhelfen. Im Auslauf nimmt er aber wieder die sanften Töne des Anfangs auf, und lässt diese dezent verklingen.
Bei „Broken“ mag man zuerst gar nicht glauben, dass es sich um eine rein akustische Aufnahme handelt. Satt legt der von Pasi gezupfte Bass eine Grundlage, auf der sich alle anderen stützen können. Tony geht in den Refrains druckvoll ans Werk und versorgt den Song mit weiterer Kraft. Selbst Schlagzeuger Tommy darf hier etwas beherzter zuschlagen. Kurz vor Ende wird es sogar ein wenig düster. Hier ist den Nordlichtern die Neuarrangierung absolut gelungen. Für mich einer der stärksten Songs auf dem Album.

Sonata Arctica auf dem Metalacker Tennenbronn 2022
„Letter to Dana“ war bereits im Original als Ballade angelegt. Da liegt es nahe, diesen Song nochmal auf den warmen Sound der unverzerrten Instrumente zu projizieren. Elias schmückt die Melodie ein bisschen aus, während der Song in einem sehr ähnlichen Aufbau wie beim Original vor sich hinplätschert. Ob man sich hier bewusst eng an die Ursprungsversion gehalten hat, ist mir nicht bekannt. Nicht falsch verstehen, wir haben es mit einem wirklich starken Song zu tun, den man nicht unterschätzen sollte. Letztendlich ist er wie hier gehört vermutlich sogar so, wie er immer sein sollte. Nur fehlte den fünf Finnen auf ihrem Album „Ecliptica“ noch der Mut die Verstärker einmal aus zu lassen.
Zu „Full Moon“ nehmen wir wieder etwas Tempo auf. Die Grundzutaten bleiben gleich, werden dieses Mal aber wieder durch kleinere Chöre ergänzt, welche vor allem die allseits bekannte Zeile „Run away“ aufnehmen. Henkka haut hier in die Tasten eines Pianos und steckt nur zurück, wenn Tony gesanglich zur Hochform aufläuft. Der Live-Klassiker verliert auch in dieser Version nichts von seinem Charm und geht genauso druckvoll zu Ende, wie er anfing.
Wahnsinn, schon Halbzeit, die Vinyl-Liebhaber müssen jetzt noch einmal aufstehen und die Kunststoffscheibe wechseln, um mit „Shamandalie“ fortfahren zu können. Die Generation Spotify hat hoffentlich den Shuffle-Modus rausgenommen und darf einfach hocken bleiben, wo auch immer sie sich gerade befindet.
„Shamandalie“ ist absolut minimalistisch gehalten und wartet nur mit Orgelspiel auf. Die restliche Dynamik wird komplett durch die Stimme Tonys aufgebaut. Er variiert von sanft zu kraftvoll, von langsam zu schnell. Wieder einmal beweist er die große Bandbreite seines Könnens. Im Hintergrund gibt es noch ein paar Chöre, welche passend arrangiert die Stimmungen verstärken. Ein Song zum Augenschließen und Träumen.

Sonata Arctica auf dem Metalacker Tennenbronn 2022
Deutlich langsamer als im Ursprung kommt „San Sebastian“ daher, wirkt aber im Vergleich zum vorherigen Song schon fast hektisch. Ein bisschen viel Hall wurde unter den Gesang des Frontmanns gemischt, ohne dass es nötig gewesen wäre. Insgesamt scheint es so als hätte man noch einen Song gebraucht, und diesen einfach mal gespielt. Etwas einfallslos hören wir hier die, meiner Meinung nach, schwächste Nummer der Platte.
„Gravenimage“ kann diesen Makel aber schnell wieder wettmachen, da sich die Finnen auf die guten alten Akustik-Tugenden besinnen. Ähnlich wie bei „Blind Guardian“ und ihrem „Bard’s Song“ haben wir hier nur eine Gitarre plus Gesang. Mitsingen wird allerdings deutlich schwerer, da die Strophen doch erstaunlich viel schnellen Text aufweisen. In der Bridge wird der Song durch Streicher ergänzt, die eine deutliche Aufwertung mit einbringen.
Nun aber zu einem Song der auf keinem „Sonata Arctica“ Konzert fehlen darf. „Flag in the Ground“ ist einer dieser Klassiker, den man als Band nur schwer nochmal anpacken kann. Da konnte nur was radikal anderes gemacht werden. Stilgebend sind in dieser Variante ein Banjo und eine im 8-Bit-Stil spielende Orgel. Was absurd klingt, verleiht dieser Interpretation des eigenen Werkes einen vollkommen eigenständigen Charakter. Man freut sich beim Hören schon auf den nächsten Refrain, wenn diese ungewöhnliche Kombination wieder aufdreht, und beginnt unweigerlich zu Grinsen. Ein absoluter Gute-Laune-Titel und in meinen Augen ein Meisterwerk.
Der nächste Klassiker schließt sich mit „My Land“ direkt an. Hier war man leider nicht mehr so mutig und spielt die bekannte Melodie einfach ohne Verstärker. Da wäre noch Luft nach oben, allerdings darf man den Zuhörer ja auch nicht überfordern. Insgesamt eher unspektakulär können wir uns bereit machen fürs Finale.
Tony und Elias setzen sich nochmal zusammen, um aus dem ehemaligen Power-Metal Song „Victoria’s Secret“ eine herzzerreißende Ballade zu bauen. Gekonnt greift der Gitarrist dabei die Strukturen und Melodien der Vorlage auf, und bringt sie modifiziert, aber wiedererkennbar ein. Tony holt nochmal alles aus seinen Stimmbändern raus. Gemeinsam zeigen sie wiederholt, zu was „Sonata Arctica“ fähig ist. Ein absolut würdiger Abschluss für dieses Album.

Sonata Arctica am 31.03.19 im Z7/Pratteln
Mit „Acoustic Adventures – Volume Two” nehmen uns die fünf Finnen mit auf eine Reise durch ihre bisherige musikalische Geschichte. Gekonnt interpretieren Sie dabei alte Klassiker neu, lassen es aber auch mal etwas simpler angehen. Auf der Bühne des eigenen Wohnzimmers, wurden die Musiker sauber getrennt platziert. Ein Stereo-Mix der alten Schule, bei dem man die unterschiedlichen Positionen verorten kann und sich manchmal wundert, aus welchen Ecken noch Sound kommen kann.
Wem die Erste Ausgabe fehlt, dem sei diese auch ans Herz gelegt. „Acoustic Adventures – Volume Two“ erscheint am 30.09.2022 bei Atomic Fire Records in unterschiedlichsten Varianten. Bestellen könnt ihr sie hier.
Und wer von unverzerrten Finnen nicht genug bekommen kann, der darf sich auf eine kleine, aber feine Tour freuen, in welcher die Nordmänner ihre Lieblingsspielorte besuchen. Eine kurze Auflistung der Konzerte in Deutschland und dem Umland findet ihr unten. Wir durften Sonata Arctica bereits vor der Aufnahme dieser Alben mit einem ähnlichen Set sehen. Wie wir dieses akustische Abenteuer fanden, könnt ihr hier nachlesen.
Tracklist:
01. I Have A Right
02. Black Sheep
03. Half A Marathon Man
04. Broken
05. Letter To Dana
06. FullMoon
07. Shamandalie
08. San Sebastian
09. Gravenimage
10. Flag In The Ground
11. My Land
12. Victoria‘s Secret
Tourdaten:
25.10. Hamburg, Fabrik
28.10. Bochum, Matrix
15.11. Nürnberg, Hirsch
16.11. CH-Pratteln, Z7
24.11. A-Wien, Szene
28.11. Berlin, Columbia Theater
29.11. München, Backstage Werk
01.12. Köln, Essigfabrik
02.12. Passau, Zauberberg
03.12. Speyer, Halle 101Viele weitere CD-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index…