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Drangsal – Harieschaim

Substantiv, feminin oder Substantiv neutrum – qualvolle Bedrückung, Leiden”. Schlägt man im Duden unter “Drangsal” nach, findet man das als Begriffsklärung. Hat man die letzten Jahre stattdessen den Output diverser Musik-Redaktionen verfolgt, könnte man noch eine weitere Bedeutung mitbekommen haben: nämlich ein Musik-Act, auf den so manche hoffnungsvolle Blicke gerichtet sind.

Nun ließe sich hinter dem Namen, wie ich finde, am ehesten eine Medieval-Rockband oder ein Industrial- oder Gothic-Rock-Act vermuten. <Mööp!> Weit gefehlt! Und auch das von der Suchmaschine vorgeschlagene “Bestattungshaus Drangsal” ist natürlich nicht wirklich ein Treffer — auch wenn es wohl ausschlaggebend für die Namensfindung war.
Nein, stattdessen handelt es sich um den 22-jährigen Max Gruber aus dem 10.000-Seelen-Örtchen Herxheim an der Südlichen Weinstraße, der sich musikalisch hat stark von den Achtzigern beeinflussen lassen — im Nachhinein, versteht sich, mit Hilfe der Mixtapes seines Vaters, sagt der Promo-Text.
Das wird schon mit den ersten Takten seines Debütalbums “Harieschaim” (ursprünglicher Name von Herxheim) mehr als klar. Besonders der britische Eighties-Pop, der New Wave und die Neue Deutsche Welle haben es ihm angetan.

Dieses Gesamtpaket Drangsal hätte es in Berlin nie gegeben. Dort wäre ich ja nie angeeckt und hätte nie gelernt zu überleben.Max Gruber im Interview mit dem Spiegel

Dabei wollen seine Lieder so gar nicht nach pfälzischer Provinz klingen. Eher nach dem großstädtischen Berlin, in dessen Gewusel er sich erst im zweiten Anlauf zurechtgefunden hat — oder natürlich nach London. Und sie klingen genauso wenig nach “Post Eighties”, also nicht wirklich nach einer Weiterentwicklung des Ganzen. Aber vermutlich sollen sie das auch gar nicht.

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Video zu “Love Me Or Leave Me Alone”

Nein, sie machen eher den Eindruck einer direkten Neuauflage des Jahrzehnts — inklusive der Video-Optik (s.o.), schwanken zwischen Depeche Mode, Camouflage, The Cure und der NDW und hätten zum Großteil auch vor 30 Jahren entstanden sein können.

Musik ist oft ein Substitut für Tränen, ich will am Ende aber lieber Lachen als Weinen.Max Gruber alias “Drangsal”

Obwohl in der Trackliste einige Namen deutsch klingen und die nachdenklichen Songtexte oft therapeutische Wirkung (auf ihn) haben, singt Gruber nur bei “Will Ich Nur Dich” in seiner Muttersprache. Anspieltipp Nummer eins. BTW: Hatte ich eigentlich schon Joy Division als Referenz genannt?
Neben den beiden Singles — das schon Anfang des Jahres als Video mit Jenny Elvers erschienene “Allan Align” und “Love Me Or Leave Me Alone” lohnt es sich für einen ersten Eindruck auch, “Hinterkaifeck” (benannt nach einem Bauernhof in Bayern, wo einige seiner Ahnen bei einem bis heute ungeklärten Mehrfachmord ums Leben kamen) und “Wolpertinger”, eines der ältesten Stücke der Platte, anzuspielen. Der Titel “Sliced Bread #2” wirkt dagegen eher als noisy Zwischenstück denn als Lied. Das ist aber auch die einzige Stelle, an der der Skip-Finger mal kurz zuckt…

Unter dem Strich bietet “Harieschaim” einfach ein richtig gute halbe Stunde 80s-Pop nach dem Motto “vorwärts in die Vergangenheit”. Nicht weniger, aber auch nicht mehr. Drangsal zeigt einiges Talent, gerade auch am Mikrofon. Vor allem der mangelnden Eigenständigkeit der Musik (und auch der Stimme) wegen, dürfte es für die ganz große Überraschung, die Feuilletons und einige seiner Künstlerkollegen heraufbeschwören wollen (“das nächste große Ding”) aber aktuell noch etwas früh sein.Viele weitere CD-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index

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Über den Autor des Beitrags

Gerald

Hört so ziemlich alle Genres querbeet, von Heavy bis Electro, von Folk-Pop über World und Rock bis Hip-Hop. Ehrliche, handgemachte Musik ist aber noch die beste und Radio-Rotation ist evil. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ist zudem hauptsächlich für unsere Comic-Abteilung verantwortlich und spielt hin und wieder auch gerne mal an der (Nintendo-)Konsole.

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