Soilwork – Verkligheten
Was passiert, wenn eine Band ihr elftes Studioalbum veröffentlicht? Eines ist klar: Macht man es anders als sonst, meckern diejenigen, die immer dasselbe erwarten. Macht man alles wie vorher, muss man sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht mehr innovativ zu sein. Oder du machst einfach das, worauf du Lust hast und lässt jede Kritik an dir abperlen. An dieser Stelle könnte ich schon aufhören, zu schreiben, denn ich habe mich gerade selbst obsolet gemacht. Dennoch möchte ich kurz meinen Eindruck zum Besten geben.
Soilworks neuestes Werk wurde „Verkligheten“ genannt, was das schwedische Wort für „Wirklichkeit“ ist. Wirklichkeit ist ein ebenso unscheinbares wie auch großes Wort. Während wir in unserer Wirklichkeit oft das Gespür für kleine Dinge verlieren und durch den Alltag hetzen, reden wir immer mehr darüber, uns selbst zu verwirklichen und unseren Träumen zu folgen. Das Gefühl für Wirklichkeit ist mehr und mehr gespalten, ja fast schon schizophren in Innen- und Außenwirkung.
Diese Spaltung merkt man auch „Verkligheten“ an, wechseln sich doch sanfte und harmonische Klänge mit knüppelharten Snaredrum-Orgien und kreischenden Vocals ab.
Wir starten mit dem Instrumental-Intro, welches auch dem Album seinen Titel leihen durfte. Sanfte Gitarrenklänge, die von einem dezenten Rhythmus getragen werden, entführen uns gedanklich an ein Feuer am Kamin oder im kalten schwedischen Wald.
Nahtlos wird zu „Arrival“ gewechselt, welcher uns direkt einen rasenden Snare-Beat um die Ohren haut. Dazu growlt Leadsänger Björn Strid so schön, als ob uns ein Wolf anknurrt. Im Wechselspiel zwischen Gut und Böse singt er aber auch immer wieder clean ein und wird in diesen Passagen melodisch durch die Gitarren getragen.
In „Bleeder Dispoiler“ darf der von Markus Wibom gespielte E-Bass die Rolle des Treibers übernehmen. Das Grundtempo ist etwas abgesenkt aber immer noch zügig unterwegs, und gerade im Chorus wird der Gesang massiv ausgerollt. Ein harmonischer Instrumental-Teil bereitet uns auf die Schlussakkorde vor, welche getragen ausklingen.
„Full Moon Shoals“ nimmt im Intro das vorherige Tempo wieder auf, begleitet von beiden Gitarren und dezenten Tönen aus dem Keyboard. Eine etwas beliebige Melodie begleitet uns durch den Refrain, und irgendwie hat man das Gefühl, den Song schonmal gehört zu haben, bis er auf einmal in fast Core-ähnliche Elemente aufbricht und nochmal richtig Fahrt aufnimmt.
Ein sanfte Gitarrenmelodie führt uns in „The Nurturing Glance“ ein und verleitet zum Träumen an einen einsamen Fjord, bis auf einmal ein Sturm losbricht und klassische Hardrock-Töne den dominanten Part einnehmen. Der Grundaufbau erinnert ein wenig an die finnischen Kollegen von Amorphis, doch Björn packt sein ganzes stimmliches Können aus, um diesem 5:25 Minuten langen Epos eine ganz eigene Wucht zu geben. Drummer Bastian Thusgaard darf im Mittelteil nochmal alles geben und schiebt uns mit satten Bass-Kicks dem Ende zu.
Die Snare muss auch in „When The Universe Spoke” wieder leiden. Knüppelpassagen wechseln sich mit filigranen Melodien ab und zeigen uns nochmal die ganze Bandbreite der sechs Jungs aus Schweden.
Gerade erst die Hälfte geschafft, schippern wir mit „Stålfågel“ in neue Sphären, denn nun darf auch Keyboarder Sven Karlsson endlich mal ein wenig präsenter werden und steuert ein paar futuristische Samples bei. Alles in allem ist dies aber eine der schwächeren Nummern auf dem Album.
“The Wolves Are Back In Town” entführt uns wieder gedanklich in die Weiten der örtlichen Natur, malt uns Bilder von kämpfenden Bestien und dichtem Schneefall in den Kopf. Böse Gitarren Riffs unterstreichen das aggressive Shouting und verbreiten eine düstere Stimmung. Die Taktrate ist hoch, man sieht förmlich die Finger aller Beteiligten über die Instrumente fliegen. Kurz vor Schluss bricht das Tempo nochmal kurz ein, gibt Raum für den musikalischen Endkampf und steigert sich nochmal für den letzten Schlag.
Nach so viel Aggressivität wiegt uns der Anfang von „Witan“ in trügerischer Sicherheit, doch der Hammer kommt früh und mit Wucht. Was ruhig beginnt wird schnell satt und drückend durch die Boxen getrieben und verleitet zu einem bestätigenden Kopfnicken. Der Song gewinnt an Volumen und verleitet nun auch den Rest des Körpers zum Mitmachen. Nackenschmerzen vom Headbangen sind somit vorprogrammiert.
„The Ageless Whisper“ gibt uns endlich Möglichkeit, durchzuschnaufen, kurz Luft zu holen, den Melodien zu lauschen, welche aus den beiden Stereokanälen zu uns dringen. Der Song steigert sich immer mehr und wird zu einem dichten Klangteppich verwoben. Dieser lädt dazu ein, die Augen zu schließen und seinen Gedanken Raum zu geben, sich selbst zu verwirklichen.
In „Needles And Kin“ beschleicht uns das Gefühl, die zweite Stimme zu kennen. Und tatsächlich hat sich hier Amorphis-Frontmann Tomi Joutsen die Ehre gegeben, diesem Stück eine weitere Dimension hinzuzufügen. Die instrumentalen Elemente hat man leider alle auf diesem Album schon einmal vernommen, sodass hier noch mehr drin gewesen wäre.
Das wird wieder etwas langsamer eingeläutet. „You Aquiver“ startet sanft treibend und mit nur minimal untermalten Vocals. Zur Mitte hin übernehmen die Melodien wieder die Führung, und wir bekommen nochmal die gesamte stimmliche Bandbreite von Björn zu hören. Das Outro entlässt uns wieder in die Einsamkeit der Wirklichkeit, und man muss sich schon Fragen warum es schon vorbei ist.
Wer jetzt noch nicht genug hat, darf gerne die Bonus-CD/D-Seite „Underworld“ auflegen und sich weiter berieseln lassen. Dieses Vergnügen möchte ich euch aber allein überlassen.
„Verkligheten“ ist kurzweilig und lädt zum Träumen ein. Die Platte transportiert uns in die Wirklichkeit einer Band, die sich nichts mehr beweisen muss und einfach ihren Gefühlen folgt. Gerade durch die doch oft wechselnde Besetzung von Soilwork fällt es schwer zu sagen, was nun ein typisches Album von ihnen ist. Zu behaupten, die Band erfindet sich immer wieder neu wäre aber auch nicht richtig. Über alle Songs hinweg vermisst man vielleicht ein wenig Varianz. Jeder Song in sich ist aber stark und sauber produziert, schafft es dabei aber auch, uns immer wieder andere Bilder in den Kopf zu malen. Vielleicht ist also das die schizophrene Essenz dieses Albums. Eines schafft es auf jeden Fall: Uns die Wirklichkeit um uns herum für 50 Minuten vergessen zu lassen, und uns ganz unseren Träumen und Gedanken hinzugeben.
Das Album erscheint am 11.01.2019 und wer es live erleben möchte, hat schon im Frühjahr die Chance — auf der Tour, zusammen mit den bereits erwähnten Amorphis.
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