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Sonata Arctica – Talviyö

Mitten im Spätsommer, es hat noch angenehme 25 Grad hier im Süden Deutschlands, bringen die Melodic Metaller von Sonata Arctica ein neues Werk und nennen es „Winternacht“. Das ist zumindest die sinngemäße Übersetzung des Originaltitels „Talviyö“. Wie uns Elias Viljanen im Interview (hier anzusehen)

verriet, liegt die Betonung auf der letzten Silbe. Also gut merken, damit ihr beim nächsten Prog-Metal-Abend neben dem Glas Rotwein auch mit exzellentem Finnisch glänzen könnt.

Es ist das zehnte Album der Band rund um Frontmann Tony Kakko, und dies auch noch im 20. Jahr der Band. Grund genug etwas Besonderes zu machen, ein bombastisches Marketing zu fahren, und Jubiläums Shows und Sondereditionen vergangener Platten aufzulegen. Doch nicht so die bescheidenen Finnen. Tony erzählte uns vor ein paar Monaten im Interview (das gibt’s hier inkl. Toiletten-Unfall), dass er einfach nur ein gutes Album machen wollte, mit Musik die sich natürlich anfühlt.

„Ich lasse es zu – mit nur wenigen Einschränkungen – dass sich die Musik von selbst schreibt und genieße einfach die Reise“

So kommt es das Talviyö zwar unter einem leichten thematischen Kontext steht, die einzelnen Songs aber durchaus auch aus dem Themenkomplex ausweichen können. Die Freiheit einfach die Musik zu machen, die ihm gerade im Kopf herumschwirrt, hat er sich hart erarbeitet. Denn auch wenn das letzte Album bereits drei Jahre her ist, waren die fünf Finnen in der Zwischenzeit nicht untätig. Neben diversen Live-Shows der letzten Alben und kleinen Nebenprojekten, gab es Anfang 2019 auch noch eine Reihe von Akustik-Konzerten (unsere Review über die Show in Pratteln hier), die es nötig machten viele der bekannten Werke neu zu arrangieren.

Doch kommen wir nun zu dem Album, welches wir in Händen halten. Das beeindruckende Cover des finnischen Fotokünstlers Onni Wiljami erinnert an ein Gemälde, und ist doch aus natürlichen Fotos entstanden. Es vermittelt sofort die Stimmung die einer kalten nordfinnischen Winternacht, der Blick schweift unweigerlich gen Himmel um Nordlichter zu suchen, ja es erzeugt schon Kopfkino bevor auch nur der erste Ton erklungen ist.

Legen wir den Silberling ein, begrüßt uns sofort ein leichter Chor getragen von einer dezent gezupften Gitarre. Doch im Hintergrund baut sich bereits etwas auf. Elias legt einen E-Gitarren Rhythmus drunter und Tommy legt sich an den Drums ins Zeug. Der Song nimmt richtig Fahrt auf, verlangt von Tony in die hohe Kopfstimme zu wechseln, die teilweise eine halbe Oktave zu hoch klingt. Die Kombination aus verspielten Melodien, drückenden Synths und Tonys liebevollem Gesang beweisen direkt zum Einstieg warum Sonata Arctica sich seit Jahren an der Spitze des Melodic Metals befinden. „Message from the Sun“ erzählt uns auf die ganz eigene Spielweise der Finnen von den Legenden um die Nordlichter ihrer Heimat.

Ganz anders geht da „Whirlwind“ ans Werk. Fast schon militärisch erscheinen die Drums im Intro. Sieht man sich das Thema der Nummer an, wird der Kontrast umso stärker, handelt es sich doch um eine der typischen Beziehungsgeschichten die immer wieder Thema der Band sind. Gerade der Refrain bricht die Nummer immer wieder in neue Kapitel, die Spielweise ändert sich leicht, Teile der Melodie fallen weg, oder neue Varianzen kommen hinzu. So kommt in dieser 6:32 min langen Nummer keine Langeweile auf. Die Bridge wird ganz sanft, baut sich Stück für Stück weiter auf um in einem melodischen Bombast-Klangteppich zu enden. Nur um nochmal Platz zu machen für neue Variationen des musikalischen Hauptthemas. Ungewöhnliche Rhythmus- und Tempiwechsel prägen das Ende des Songs und werden auf den Bühnen der kommenden Tour mit Sicherheit für verknotete Finger der Musiker sorgen.

„Cold“ wirkt vom musikalischen her ganz anders als der Titel es vermeint. Warm und herzlich empfängt uns der gitarrenlastige Song. Die Riffs erinnern teilweise an den Hardrock der 80er. Elias hat hier ein bisschen experimentiert und wundervolle Spielarten gefunden, die diesem Song eine ganz besondere Atmosphäre verleihen. Die kräftige Bassdrum, unterstützt von satten Tönen aus dem Bass von Pasi Kauppinen, bilden die Brücke zum letzten Drittel, in den sich auch noch liebliche Klaviertöne einmischen. Auch wenn der Text öfter mal die Zeile „Cold as Ice“ beinhaltet, ist die musikalische Struktur das genaue Gegenteil und umschließt uns mit einer wohligen Wärme.

Tony sagt über seine Songs: „Inspiration entsteht durch die Welt um mich herum.“ So kommt es auch immer mal wieder dazu, dass politische Themen Teil der Arbeit der Band werden und ihren Platz auf den Alben finden. In diesem Fall ist es unter anderem „Storm the Armada“ welcher sich mit der Zerstörung unseres Planeten befasst. Düster und dramatisch geht es zu. Druckvoll versucht man uns klar zu machen, dass wir etwas ändern müssen. Gerade die Bass-Line die uns Pasi entgegendrückt nimmt einen gewaltigen Teil der bedrückenden Atmosphäre ein. Dazu passenden Synths aus den Händen von Henrik Klingenberg und ein Jugendchor im Hintergrund. Es malen sich automatisch apokalyptische Bilder in den Kopf.

„The last oft he Lambs“ bleibt musikalisch bedrückend, wechselt aber wieder das Thema im Text. Die minimalistisch gehaltene Ballade erzählt vom Herdentrieb unter Liebenden, und den zurückbleibenden ruhigen Vertretern der Gesellschaft. Die Narben die auf ihren Seelen hinterlassen werden, weil sie nicht dem Mainstream entsprechen und dem Drang sich genau diesem anzupassen. Tony trägt uns durch einen dichten instrumentalen Nebel. Immer wieder durchbrochen von leichten höhen Klängen aus der Gitarre von Elias. So plätschern etwas über vier Minuten Song vor sich hin, verbreiten aber eine solch bedrückende Stimmung, sodass man mit den letzten Noten einen fetten Klos den Hals runterwürgt. Dieser Song hinterlässt auch beim Hörer bleibende Eindrücke.

Aus diesem Stimmungstief holt uns „Who failed the most“ direkt wieder raus. Auch wenn wir thematisch wieder näher an „Storm the Armada“ sind, klingt alles viel freundlicher und heller. Das täuscht allerdings nur kurz, denn der Text mahnt schieflaufende Machtverhältnisse und das Chaos, in das uns diese Allmachten stürzen, an. Wir bewegen uns musikalisch im Bereich einer überdramatisierten Uriah Heep Keyboardlinie, Textzeilen zwischen Metallica und Blind Guardian sowie der gesamten Stimmvarianz von Frontmann und Komponist Tony Kakko. Bleiben tut von diesem Song dennoch nicht allzu viel. Zu stark ist die Konkurrenz auf diesem Album.

Fast schon an Filmmusik erinnert der Einstieg in „Ismo’s got good Reactors“. Irgendwo zwischen Fluch der Karibik, Gladiator und Lawrance of Arabia spielt diese Instrumentalnummer mit unseren Sinnen, wechselt immer wieder Tempo und dominierendes Instrument. Man kann die Musiker schon auf der Bühne grinsen sehen. Dieser Song wurde für Live-Auftritte geschrieben. Bietet er doch Raum, dass sich jeder der vier absolut virtuosen Spieler so richtig austoben und mit Soli glänzen kann. Es bleibt zu hoffen, dass diese Chance auch genutzt wird. Denn die Nummer ist absolut tanzbar und sollte dem Publikum nicht verwehrt werden.

„Demons‘ Cage“ nimmt einen Faden vom letzten Album „The Ninth Hour“ wieder auf. Es schließt an „Fairytale“ an und übernimmt dessen musikalische Grundlage. Mysteriös geht es zu Werke und beschert uns schon im Intro eine herausragende Melodie, die noch lange im Kopf bleibt. Hier dominiert wieder das Klavier unter den Fingern von Henrik. Außer den Drums halten sich die anderen Musiker leicht zurück und dürfen nur ab und an mal richtig aufdrehen. Zum Beispiel zur Halbzeit, als der Song sein Gesicht auf einmal wandelt und unerwartet düster und druckvoll wird. Auch wenn Sonata Arctica eher wenig mit Feen, Elfen und Drachen zu tun hat, kann die Nummer durchaus auch im fantastischen Punkten und hätte von ihrer Struktur auch bei den einschlägigen Vertretern des Power-Metals gute Chance auf einer Platte zu landen.

Wem jetzt schon das Gehirn qualmt, der sollte wohl besser eine kurze Pause einlegen. Denn die letzten drei Songs der Platte haben es nochmal in sich. Bilden sie doch mit fast 20 Minuten Spieldauer einen Großteil der gesamten Platte ab.

Ihr könnte noch? Also gut. „A little less Understanding“ knüpft direkt an das mittlerweile schon als Klassiker der Band geltende „I have a right“ an und erzählt von den Schwierigkeiten, Entscheidungen zu fällen. Vor allem, wenn sie mal wieder nicht der allgemeingültigen Meinung entsprechen. In Kontrast zum kontroversen Text, steht ein musikalisch guter, aber unauffälliger Song. Er entspricht allem, was Sonata Arctica verkörpert und ist doch ein wenig beliebig. Der Text hat hier eindeutig die dominante Rolle übernommen. So bleibt nochmal kurz Platz zum Verschnaufen, bevor wir ins große Finale ziehen.

„The Raven still flies with you“ nimmt Tonys Passion für das schwarze Federvieh auf. In jedem Album der Band versteckt sich mindestens ein Song über diese Geschöpfe und so darf er auch auf Talviyö nicht fehlen. Mit 7:40 Minuten bekommt er sogar sehr viel Platz auf dem aktuellen Tonträger. Wer jetzt allerdings glaubt, dass hier nur Vögel besungen werden, die uns spätestens seit Hitchcock sehr gut im Gedächtnis sind, liegt vollkommen falsch. Der Song thematisiert in seinen verschiedenen melodischen Phasen das dramatische Verschwinden eines Kindes. Im Mittelteil wird es dann unerwartet experimentell, wenn die Band wieder ihre gesamte Virtuosität auspackt und eine zermürbende Dramatik aufbaut. Immer wieder tauchen freundliche punktuelle Lichtblicke auf, die diese Bombastnummer zieren. Das Gehirn des Autors ist schon komplett überfordert und doch verbleiben immer noch zwei Minuten Spieldauer. Zum Finale dreht der Song auf einmal in ganz dezente Noten. Lässt uns Raum, in unseren Gedanken zu schwelgen und einfach nur die Melodie zu genießen. Erwartet man zum Ende nochmal mehr Dramatik, lässt der Song einen stattdessen in seinen Vorstellungen ganz alleine. Leicht läuft er aus und überlasst uns unseren Bildern im Kopf.

Mit „The garden“ hören wir erstmal nur Tony und einer dezenten Gitarre zu. Immer wieder unterstützt von einzelnen Klaviernoten. Eine einsetzende Basslinie bildet einen angenehmen Kontrast zu den hohen Tönen, lädt zum Schunkeln ein, oder einfach dazu, seine Liebsten in den Arm zu nehmen und der Musik zu lauschen. Ein Song der so dermaßen in jede Faser des Körpers einzieht, Bilder im Kopf entstehen lässt und zum Träumen einlädt, sollte normalerweise keinen Abschluss eines Albums bilden. Auf Talviyö ist er hier aber genau an der richtigen Stelle. Bildet er doch mit der Atmosphäre, die er aufbaut, den direkten Anschluss an das Rückencover der Platte, welches auch wieder von Onni Wiljami gestaltet wurde und uns in eine tiefe finnische Winternacht entführt.

Sonata Arctica ist mit Talviyö ein Meisterwerk gelungen, welches einem zehnten Album würdig ist. Das sogar ganz ohne großen Pomp und Chichi. Tony und seine Mannen haben einfach das gemacht, was sie am besten können. Fantastische Musik schreiben, welche ohne Anstrengungen Bilder in den Kopf des Zuhörers projiziert und bei der man herrlich in seinen eigenen Gedanken schwelgen kann. Talviyö ist dennoch kein Album was man einfach nebenbei hören sollte. Zu komplex und detailliert sind die Kompositionen, als dass man sie einfach so als Hintergrundrauschen laufen lassen kann.

Talviyö ist am 06.09.2019 bei Nuclear Blast erschienen und in insgesamt vier verschiedenen Vinyl-Varianten, sowie zwei CD-Varianten verfügbar. Die Songauswahl unterscheidet sich dabei nicht, nur die Verpackung und ein wenig Zusatzmaterial bei der Deluxe-Vinyl-Version sind anders.Viele weitere CD-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index

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Über den Autor des Beitrags

Eightrocks

Hört am liebsten Symphonic- sowie Powermetal, kann sich aber auch für Pagan und Metalcore begeistern. Wenn er gerade einmal nicht mit Achterbahnen spielt, ist die Kamera im Anschlag.

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