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Am liebsten mag ich Monster

Fiktives Tagebuch und Grusel-Comic-Hommage, dazu sowohl Coming-of-Age- als auch Detektiv-Story und schließlich Familien-, Außenseiter- und Holocaust-Überlebenden-Drama — da kommt einiges zusammen. Dass alles das aber tatsächlich zusammen funktionieren kann, beweist die amerikanische Autorin Emil Ferris mit ihrer ersten Graphic Novel…

Die zehnjährige Karen Reyes lebt, zusammen mit ihrer abergläubischen Mutter und ihrem Frauenheld von größerem Bruder im Chicago der zu Ende gehenden 60er-Jahre. Anders als andere Mädchen in ihrem Alter, steht Karen auf Monster, gruselige Pulp-Comics und Horror-B-Movies. Das Haus, in dem sie wohnt, bietet dazu passend dunkle, abgesperrte Keller und einige schräge Nachbarn: Da wäre zum Beispiel Mr. Chugg (na, ob das ein Zufall ist?!), der gruselige Handpuppen sammelt, der strenge Vermieter oder Mrs. Silverberg, die immer wirkt, als lebe sie in einer Parallelwelt.
Letztere wird schließlich eines Tages mit einer Schusswunde tot im Schlafzimmer aufgefunden. Obwohl der Schuss im Wohnzimmer gefallen sein muss, geht die Polizei von Selbstmord aus, da die Wohnung von innen verschlossen war. Karen glaubt dieser Version der Geschichte natürlich nicht und nimmt ihre Umgebung in Detektiv-Manier unter die Lupe — und muss sich als Außenseiterin aber auch immer wieder mit allerlei anderem herumschlagen.

Deutsche Ausgabe: © Panini Verlags-GmbH

Optisch ist das Buch so aufgemacht, als wäre es das gezeichnete Tagebuch von Karen, die ihre Liebe zum Zeichnen und zu Kunst und Gemälden von ihrem talentierten Bruder Deeze mitbekommen hat und sich selbst als Werwölfin darstellt, als jemand der anders ist als die anderen — schließlich fürchtet sie sich eigentlich nur davor, irgendwann einmal selbst zum M.O.B. („mies oberflächlich banal„) gehören zu können. Dazu kommen mit Mantel, Hut und Koffer die typischen Detektiv-Accessoires.
Die 420 Seiten wurden dazu mit Ringbuch-Optik versehen (liniert und mit aufgedruckten Löchern). Die Zeichnungen darin sind hauptsächlich Schwarz/Weiß, manchmal aber auch mit Farbe versehen – vor allem zur Akzentuierung. Meist wirken die aus zahllosen Strichen und Schraffuren geschaffenen Bilder etwas schräg, die Figuren irgendwie überzeichnet und ihre Gesichter unnatürlich oder gar leicht deformiert, aber das passt schließlich gut zum Thema. Andererseits tauchen dazwischen auch, zum Teil großformatig, immer wieder sehr realistische und detailreiche Porträtzeichnungen auf. Vom anderen Ende des zeichnerischen Spektrums werden schließlich immer wieder einfachst gezeichnete, skizzenähnliche Panels eingestreut.
Manchmal wird eher schnell etwas hinein gekritzelt, ein andermal nimmt man sich richtig Zeit für den Eintrag. Zeichnerisch passt das mit dem Tagebuch also ganz gut – wenn ich mir auch nicht wirklich ausmalen wollte, wie viel Zeit man für ein solches Tagebuch tatsächlich aufbringen müsste.

Deutsche Ausgabe: © Panini Verlags-GmbH

Die ersten Seiten, auf denen Karen zunächst ihr ganzes Umfeld vorstellt, bestehen schließlich aus vielen kurzen, voneinander weitgehend unabhängigen Abschnitten. Das kommt dem Tagebuch-Thema natürlich ebenfalls zugute. Später gibt es aber auch immer wieder längere lineare Handlungsstücke, so dass das Ganze dann doch einfach wie eine aus der Ich-Perspektive erzählte Geschichte liest.
Trotz des Titels und der Vorliebe für den Grusel sollte man nicht wirklich von einem Horror-Comic oder ähnlichem ausgehen. Die Monster sind hier eigentlich doch eher die Mitschüler, die Krankheit der Mutter oder die wen und wie auch immer Missbrauchenden. Viele Geschehnisse und vor allem die Erzählart wirken nicht selten drollig und kauzig, ohne das Erzählte aber allzu leicht herüberkommen zu lassen.

Ganze drei Eisner-Awards gab es für “Am liebsten mag ich Monster” (Originaltitel: „My Favorite Thing is Monsters“), in den Kategorien Best Writer, Best Colorist/Coloring und Best New Graphic Album. Gewiss nicht unverdient!
Der Reiz des Buches liegt sowohl in der unverwechselbaren, eigenen Art als auch der vielschichtigen Handlung, die beeindruckend leicht zwischen Ernst und Spaß, Drama, Tragödie und leichterem Inhalt hin- und herwechselt. Wer Graphic Novels mag, sollte hier unbedingt reinschauen — alle anderen dürfen wohl auf eine cinematische Umsetzung durch Sony Pictures hoffen, die sich die Rechte schon gesichert haben.Viele weitere Comic-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index

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Über den Autor des Beitrags

Gerald

Hört so ziemlich alle Genres querbeet, von Heavy bis Electro, von Folk-Pop über World und Rock bis Hip-Hop. Ehrliche, handgemachte Musik ist aber noch die beste und Radio-Rotation ist evil. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ist zudem hauptsächlich für unsere Comic-Abteilung verantwortlich und spielt hin und wieder auch gerne mal an der (Nintendo-)Konsole.

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