Der Arabische Frühling
Im Dezember 2010 beginnen nach landesweiten Massenunruhen und der darauf folgenden Revolution in Tunesien (auch bekannt als “Jasminrevolution”) scheinbar plötzlich zahlreiche Bürgerproteste und politische Umstürze in fast der gesamten arabischen Welt. Der “Arabische Frühling” bietet große Chancen für die politische und gesellschaftliche Freiheit in den betroffenen, meist autoritär geführten Staaten. Allerdings birgt der Umschwung meist auch große Gefahren, da nach dem Ende der Diktatur zunächst einmal ein Machtvakuum entsteht. Die ganze Welt beobachtet die Geschehnisse gebannt und hofft im Ergebnis auf eine beruhigte und stabile “MENA-Region” – eine Demokratisierung in Nordafrika und dem Nahen und Mittleren Osten.
Die Graphic Novel “Der Arabische Frühling” schildert diese jüngst geschriebene Geschichte in insgesamt 16, jeweils rund eine Hand voll Seiten umfassenden Kapiteln. Natürlich führen diese auch die wichtigsten, meist aus den Nachrichten bekannten Punkte auf. Vor allem erzählen sie aber auch von vielen “kleinen” Personen, deren Namen, Taten und Schicksale kaum jemand kennt, die aber ihren Beitrag zu den Vorgängen in ihrem Land geleistet haben.
Von all diesen Menschen hat Mohamed Bouazizi vermutlich noch den bekanntesten Namen. Der Tunesier zündete sich aus Protest selbst an und brachte so die Aufstände in seinem eigenen Land, aber eben auch die gesamte arabische Revolution ins Rollen. Auch die junge Tawakkol Karman, die im Jemen gegen das Regime aktiv geworden ist, hat durchaus einen gewissen Grad an Bekanntheit erlangt – sie erhielt auch einen Friedensnobelpreis.
Aber, mal ehrlich… Wer hat beispielsweise schon die Namen Gyath Matar, Oussama Khlifi (“Omar der Syrer”), Vittorio Arrigoni, Hamza Kashgari oder Fathi Terbil gehört? Sie alle wollten in ihrem Land etwas verändern. Sie riefen zum zivilen Ungehorsam auf, zeigten der Welt unzensierte Aufnahmen aus Kriegsgebieten oder setzten sich für Menschenrechte und gegen Korruption und Willkür ein. Und nicht wenige von ihnen verloren dabei ihr Leben.
Der Autor – Jean-Pierre Filiu – hat den arabischen Raum in rund zehn Jahren als Diplomat in Jordanien, Syrien und Tunesien kennengelernt. Als Historiker und Orientalist war er außerdem viele Jahre Berater von Frankreichs Innen-, Verteidigungs- und Premierministern. Mittlerweile lehrt er an der School of International Affairs in Paris. Mit dem Buch “The arab revolution. Ten lessons from the democratic uprising” widmete er sich bereits 2011 dem Thema.
Die Zeichnungen stammen von Cyrille Pomès. Sie illustrieren die Szenen sehr passend und lassen auch die bekannten Gesichter von Muammar al-Gaddafi, Husni Mubarak, Baschar al-Assad usw. mühelos erkennen.
Dialoge führen die gezeigten Personen übrigens keine. Zwar gibt es hier und da Sprechblasen, diese geben allerdings nur die Aussagen und Standpunkte der Leute wider – praktisch so, als würden sie direkt den Leser ansprechen.
Natürlich kann die Graphic Novel “Der Arabische Frühling” nur eine kompakte Zusammenfassung bieten und nicht alle Zusammenhänge und Hintergründe bis ins Detail beleuchten. Das ist klar und auch in Ordnung. Was mir allerdings etwas fehlt, ist die klare Botschaft, dass nicht alle gegen die Regime arbeitenden Kräfte herzensgute Ziele haben.
Insgesamt sind die Prozesse aber gut aufbereitet. Und außerdem: das Buch ist insbesondere den Menschen und ihren Geschichten gewidmet. Dem, was für uns weitgehend im Verborgenen geblieben ist. Und an den Stellen, wo es um Menschenrechte geht und sich klar Partei ergreifen lässt. Als Abschluss passt ein Zitat aus dem Promo-Text sehr gut: “Sie verdienen es, dass wir uns an sie erinnern.”Viele weitere Comic-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index…