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1984 – Graphic Novel

Bei Themen wie NSA-Affäre und Edward Snowden, Wikileaks und Pressefreiheit im Allgemeinen, wenn vom Mittlerweile-Ex-POTUS von “alternativen Fakten” gesprochen wird, aber auch mit Rückblick auf die Stasi in der DDR. Bei all diesen Themen fällt auch heute noch oft sein Name: George Orwell. Anno 1948, nur zwei Jahre vor seinem Tod, hat der Engländer in seinem letzten Roman “Nineteen Eighty-Four” eine düstere Vision für die relativ nahe Zukunft, eben die im Jahr 1984, beschrieben.
It was a bright cold day in April, and the clocks were striking thirteen.” — Als mahnende Dystopie war das Buch schon in meiner Schulzeit Teil des Unterrichts (und meiner Erinnerung nach tatsächlich die einzig wirklich interessante Schullektüre). Als ich letztes Jahr dann eine Beschäftigung für den ersten Corona-Lockdown gesucht hatte, fiel meine Wahl spontan auf die englischsprachige Originalfassung des Romans (und danach noch auf die Originalfassung von Orwells “Farm der Tiere”). Während die Erinnerungen an die Story also nun noch einigermaßen frisch sind, ist bei Splitter diese Graphic Novel-Adaption (natürlich in einer deutschen Übersetzung) erschienen.

© Splitter Verlag

Big brother is watching you!”, heißt es in “1984” mit Verweis auf die Teleschirme (in früheren Übersetzungen “Televisoren”), jene allgegenwärtige Informations- und Überwachungsgeräte, die Privatsphären praktisch nahezu gänzlich abschaffen und dem “Großen Bruder”, dem unantastbaren Machthaber und dessen Partei-Apparat, die totale Kontrolle einräumen. Dabei hätte nicht einmal Orwell erahnen können, dass noch einmal nur 36 Jahre später, nämlich in unserer heutigen Zeit, jeder bereitwillig einen Teleschirm vor dem Sofa stehen hat (Smart-TV mit Sprachsteuerung und Cam) oder als Smartphone gar mit sich herumträgt und wohl die meisten Leute nach dem “ich hab ja nichts zu verbergen”-Motto leben.

Winston Smith, der Protagonist der Story, könnte sich jedenfalls etwas Angenehmeres vorstellen. Er arbeitet als Mitarbeiter im Ministerium für Wahrheit und ist täglich damit befasst, Geschichte nach Vorgaben der Partei umzuschreiben. Ständig überarbeitet er ältere Publikationen — was früher einmal wahr war, wird unwiderruflich gelöscht und vergessen, was ursprünglich unwahr war, wird zur neuen Wahrheit.
Aber nicht nur das. Mit “Neusprech” wird eine neue, “optimierte” Sprache entworfen, in der es für unliebsame Dinge einfach keinen Begriff gibt. Dazu werden die Bürger durch den ständigen Kriegszustand (“Krieg ist Frieden!”), Hassbilder und öffentliche Hinrichtungsevents auf Linie gebracht bzw. gehalten. Vor allem aber: Selbst das Denken wird vorgeschrieben. 2+2 ergibt vier, klar. Aber wenn die Partei sagt, dass das Ergebnis fünf lautet, dann gibt es eben — und hier sind wir bei Trump — ein zusätzliches, alternatives Ergebnis. Eine alternative Wahrheit. Wer das nicht einsehen will, lebt gefährlich und sollte sich beispielsweise besser nicht durch eine ungünstige Mimik im falschen Moment verraten.
Und obwohl Winston, wie jeder andere auch, auf Schritt und Tritt beobachtet wird, obwohl die ständige Gehirnwäsche auch an ihm nicht wirkungslos vorübergeht und obwohl eben schon falsche Gedanken zur “Vaporisierung”, der vollständigen Auslöschung der eigenen Existenz, führen können, keimt ein revolutionärer Gedanke in ihm auf…

© Splitter Verlag

Adaptiert wurde Orwells Story hier von Autorin Sybille Titeux de la Croix und Zeichner Amazing Ameziane, jenem französischen Duo, das auch auch schon der amerikanischen Bürgerrechtlerin Angela Davis und der Boxlegende Ali jeweils eine Graphic Novel gewidmet haben (“Miss Davis” bzw. “Muhammad Ali”).
Mit 232 Seiten ist das Buch recht umfangreich und enthält auch relativ viel Text — auch wenn auch immer wieder großformatige Zeichnungen dazwischen sind, die mit wenigen oder gar keinen Worten auskommen und vor allem die Stimmung eindrucksvoll vermitteln.
Die Zeichnungen sind oft etwas einfacher gehalten — hin und wieder sogar bis hin zu Scherenschnitt-ähnlichen Bildern, werden hier und da aber auch etwas detaillierter. Gerade das kantige Gesicht der Hauptfigur und dessen Blicke haben mir sehr gefallen. Farblich ist das Ganze meist blass bläulich. Das passt zur trostlosen und kühlen Realität des beschriebenen London ganz gut.

In welcher Form auch immer — “1984” ist einfach eine Pflichtlektüre! Da macht auch diese Graphic Novel keine Ausnahme. Sie kann natürlich im Vergleich zum Roman nicht ganz so sehr ins Detail gehen, dafür kann sie aber die Szenerie und die hoffnungslose Situation auch auf einer bildlichen Ebene noch greifbarer machen. Eine originalgetreue Adaption, optisch toll gelungen und der Inhalt zeitlos relevant. Top! — oder, um es in Neusprech zu sagen: doubleplusgood!

Eine Leseprobe mit ein paar Seiten findet ihr, wie immer, auf der Verlagsseite zum Buch bei Splitter.Viele weitere Comic-Reviews findest Du übrigens in unserem alphabetischen Index

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Über den Autor des Beitrags

Gerald

Hört so ziemlich alle Genres querbeet, von Heavy bis Electro, von Folk-Pop über World und Rock bis Hip-Hop. Ehrliche, handgemachte Musik ist aber noch die beste und Radio-Rotation ist evil. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Ist zudem hauptsächlich für unsere Comic-Abteilung verantwortlich und spielt hin und wieder auch gerne mal an der (Nintendo-)Konsole.

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